Friedliche Revolution 1989

Posted: 13th November 2014 by Wenzel Oschington in Wende 1989
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Wie aus einfachen Menschen Revolutionäre wurden

Als wir 89 auf die Straße gingen ….

Nichts war geplant oder vorhersehbar. Die Dinge entwickelten sich einfach, in jenen Tagen und Wochen, im Herbst 1989. Der real existierende Sozialismus war nicht das, was uns die Nachrichten von DDR-TV und ND (Neues Deutschland, das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – SED) glauben machten. Dass täglich tausende Menschen unser Land Richtung Westen verließen, wurde dort totgeschwiegen. Das erfuhr man lediglich aus den westlichen Medien, vorausgesetzt man wohnte nahe genug an der Grenze und im Empfangsgebiet. Wie es im Lande wirklich aussah wurde von schöngefärbten Berichten und Erfolgsmeldungen kaschiert.
Die Menschen spürten, dass etwas im Gange war,
So wie bisher, konnte es nicht weitergehen. Eine marode Volkswirtschaft, der Verfall in den Innenstädten, die Mangelversorgung an Industriegütern und die Umweltprobleme wollten wir nicht mehr länger hinnehmen.
Wenn wir uns zu den Montagsgebeten im Dom und den anschließenden Demonstrationen trafen, war es anfangs vielleicht nur Neugier, die Intension mitzutun, dabei zu sein. Was sich Woche für Woche, Montag für Montag entwickelte, war mehr. Ich spürte, wie alles im Fluss war, sich rasant entwickelte. Ein Sog, dem ich folgen musste, dabei sein, Fotos machen.

( … wenn jemand über Erlebnisse / Geschehnisse aus jenen Tagen berichten möchte, würde ich mich freuen, diese hier veröffentlichen zu dürfen … )

Und die Ereignisse überschlugen sich. Während im DDR-TV die Zeit stillzustehen schien, die Dinge einfach nicht stattfanden, hingen wir, ich, Abend für Abend am Fernsehgerät und verfolgten die Berichte von ARD und ZDF, über die Menschen, die in den Botschaften saßen, wie die Züge mit den Ausreisenden die Grenze passierten, über die Tumulte in Dresden.
Damals wollte ich einfach nur dabei sein, nichts verpassen, hier und jetzt, wo endlich etwas zu passieren schien. Den Fotoapparat hatte ich dabei, dokumentierte, saugte das Gehörte, Gesehene auf, erzählte es weiter. Zum Revolutionär wurde man erst im Nachhinein.
Es war ein unbeschreibliches Gefühl.

Die Negative entwickelte ich in meinem kleinen Labor in der Wohnung Karl-Marx-Straße 229a, spät abends, wenn ich zurück kam. Schnell wollte ich sehen, was ich da auf dem Filmstreifen hatte. Die Spannung war immer groß, die Arbeit viel, die Nächte zu kurz.
Das Material häuft sich an. Kaum komme ich dazu, die Negativstreifen zu schneiden, einzutüten, zu beschriften. Bögen mit Kontaktabzügen – sie werden mir später von großem Nutzen sein, das Archiv aufzuarbeiten – sind damals die einzigen Positive, die ich mir ansehe. Es fehlte einfach an Zeit, weitere Abzüge anzufertigen.
Tagsüber ging ich weiterhin brav meiner Arbeit im Büro des VEB Spezialbaukombinat Magdeburg nach. Wir hörten dieser Tage intensiv Radio. Westsender auf Arbeit! Verboten! Propaganda des Klassenfeindes! Den Nachrichten der DDR-Sender glaubte ich, wir schon lange nicht mehr. Vielmehr versuchte man aus dem Gehörten und Gesehenen seine eigene Meinung zu bilden.

Anfang dieses Jahres, 2014, machte ich mich endlich daran, das Archiv von mehreren hundert Filmen aus den Jahren 1988 bis 1990 zu sichten, Negative zu scannen, digitalisieren und mittels Software zu entwickeln. Der modernen Technik sei Dank. Eine wahre Sisyphusarbeit. Und immer noch bin ich selbst erstaunt über die Masse, die sich seinerzeit angesammelt hat. Fotos, die ich noch nie gesehen habe bzw. deren Existenz mir nicht bekannt war.
Gut, ich will sie endlich der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Internet ist ideal geeignet. Kostengünstig, unkompliziert und schnell.

Das Stadtmagazin DATEs eröffnete mir außerdem die Möglichkeit, zwei Seiten mit Fotos aus dieser Zeit zu veröffentlichen. Dafür meinen Dank, auch im Namen derer, die die Fotos nun ansehen konnten. Und dann, Anfang Oktober, klingelte das Telefon. Der MDR wollte einen Beitrag bringen, über die Montagsdemos, die Kundgebung am 4. November auf dem Magdeburger Domplatz und wie ich als Fotograf die Ereignisse erlebte. Eine Woche später trafen wir uns an jenen historischen Orten, wo damals die Fotos entstanden. Der Domplatz. Hier demonstrierten am 4. November 1989 50.000 Menschen, sowie der Hasselbachplatz, Ausgangspunkt meines Wirkens in jenen Jahren.
Warum eigentlich, fragte ich mich? Als Augenzeuge, Fotograf, der 1989 das Geschehen festhielt, und, ja, ich hatte etwas dazu zu sagen. Weiterhin bin ich der Meinung, dass viel öfter jene Menschen zu Wort kommen sollten, die dabei gewesen sind, die sich eingebracht haben. Statements von Politikern haben wir genug, selbst wenn es sich dabei um einen Bundespräsidenten handelt, der, meiner Meinung nach, mittlerweile eine verklärte Sicht auf die Dinge hat bzw. kommuniziert. Sicher, es gibt immer unterschiedliche Sichtweisen, je nachdem, von wo aus man die Dinge betrachtet oder worauf man seinen Fokus legt. Aber Pastoren, und davon gab es zur Wende zahlreiche, die von der Kanzel auf die politische Bühne wechselten, vertreten nun mal andere Standpunkte und nicht unbedingt die meinen.

Zusammen mit dem TV-Team wurden Negative, Kontaktabzüge und Fotos gesichtet. Es war schon aufregend, dass sich das Fernsehen für einen interessiert. Völlig ungewohnt, in eine Kamera zu schauen und etwas zu erzählen.
Es ist nicht meine Art sich in den Vordergrund zu drängen. Doch die Chance, über die 89er Ereignisse zu berichten, meine Sicht der Dinge, meine Gefühle und Erlebnisse zu schildern, war schon wichtig.
Heute wird so viel darüber gesprochen, auch von Leuten, die nicht dabei waren. Manchmal kommen mir hanebüchene Geschichten zu Ohren, die Lehrern ihren Schülern erzählen, über die DDR. Dinge, die sie, auf Grund ihres Alters, selbst nur vom Hörensagen kennen. Deshalb finde ich es wichtig, die Geschichte lebendig zu halten. Was wollten wir 1989? Eine reformierte DDR, einen besseren Sozialismus, einen eigenständigen Staat behalten. Die Umstände ließen es nicht zu denn, die Realität jedoch war eine andere. Das Heft des Handelns wurde uns aus der Hand genommen. Unter anderem von westlichen Politikern und auch teilweise durch die Dummheit/Unwissenheit der Leute, die sich nach dem Fall der Mauer vom Glanz und den Verlockungen des Konsums blenden ließen.

Das sind Dinge, die so nicht kommuniziert werden, weil es nicht gewollt bzw. längst in Vergessenheit geraten ist. Die Menschen wählten am 18. März 1990, bei den ersten freien Wahlen in der DDR, die D-Mark und damit den Anschluss an die BRD. Am 3. Oktober 1990 kam es zur Wiedervereinigung.
Die Chance auf eine eigenständige Entwicklung (insofern dies überhaupt realistisch gewesen wäre, aber man hätte es zumindest versuchen können) war vertan.

In den kommenden Tagen und Wochen – bis zum Sommer 1990 – werden weitere Geschichten und Fotos folgen. Es lohnt sich also, auch für mich, der noch nicht genau weiß, was sich im Archiv findet.

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