Mehr über Möglichkeiten als über Probleme reden

Sachsen-Anhalt braucht Zuwanderung

Sören Herbst Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen

Sören Herbst im Interview zur Flüchtlingssituation in Sachsen-Anhalt und zu den jüngsten Aufrufen zum Lynchmord gegen seine Person und den Linken-Politiker Robert Fietzke. Teilnehmer der MAGIDA Kundgebung am 14. Dezember forderten „Tod Sören Herbst – Tod Robert Fietzke“.

Sören Herbst, als Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen setzen Sie sich für die Verbesserung der Flüchtlingssituation in Sachsen-Anhalt ein.
Welches sind die vordringlichsten Probleme, die gelöst werden müssen?

„Unser drängenstes Problem ist es, dass wir in Sachsen-Anhalt zu einer Ankommenskultur kommen, zu einer aufnahmebereiten Gesellschaft, die nicht nur in der Lage sondern auch Willens ist, die jetzt zu uns kommenden Flüchtlinge anzunehmen, zu integrieren und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Leider haben wir es bundesweit mit einer Situations zu tun, wo wieder rechte Kräfte am Erstarken sind. AfD, PEGIDA und andere fremdenfeindliche Bewegungen machen Stimmung, hetzen gegen Geflüchtete und Unterstützer.

Sachsen-Anhalt ist derzeit eher ein Transitland für die Geflüchteten. Etwa ein Drittel verlassen das Land wieder recht schnell Richtung Westdeutschland. Das zeigt aber wiederum, dass wir nicht attraktiv genug für die Leute sind, um sie in Lohn und Brot zu bringen. Das müssen wir schnellstens ändern, das halte ich für die größte Herausforderung.“

Wie ist der Stand bei der Bearbeitung von Anträgen, wie hoch die Wartezeit und wie könnte diese aus Ihrer Sicht verkürzt werden?

„Die langen Wartezeiten sind ein großes Problem. Geflüchtete, die jetzt in die Erstaufnahmelager in Halle oder Halberstadt kommen, erhalten frühestens einen Termin für Sommer 2016, um ihren Asylantrag stellen zu können. Das ist deutlich zu lange. Die Wartezeiten dürften eher im Bereich von Tagen oder wenigen Wochen liegen. Eine Situation, die man niemandem zumuten kann. In dieser Zeit sind die Menschen zum Nichtstun verdammt. Das Problem muss jedoch auf Bundesebene angegangen werden. Es wurden zwar neue Stellen zur Bearbeitung geschaffen, die jedoch nicht schnell genug besetzt werden. Hier ist der Bundesinnenminister gefragt, um diese Besetzung zu forcieren.“

Wie wird die Unterbringung organisiert und stehen für alle Geflüchteten winterfeste Quartiere zur Verfügung?

„Die aktuelle Situation sieht so aus, dass nur noch etwa ein Viertel der Flüchtlinge ankommen, wie im Vormonat. Das ist sicherlich der Jahreszeit geschuldet beziehungsweise dem, dass einige europäische Länder ihre Grenzen geschlossen haben. Derzeit reichen die Erstaufnahmekapazitäten aus. Daher müssen derzeit keine Flüchtlinge auf die Landkreise verteilt werden, sondern können bis in den Januar in den Erstaufnahmelagern bleiben.
Ich halte es für wichtig, dass wir eine belastbare Prognose von der Landesregierung bekommen, was wir in den nächsten Monaten zu erwarten haben, um eine Planung vornehmen zu können.“

Ministerpräsident Reiner Haseloff sprach unlängst von 12.000 Asylbewerbern, die pro Jahr in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Wie viele Flüchtlinge verkraftet Sachsen-Anhalt aus Ihrer Sicht?

„Das Grundgesetz kennt keine Obergrenzen. Die Prognose von 40.000 Geflüchteten für dieses Jahr haben wir noch nicht einmal ganz erreicht. Mit Rückschau auf die vergangenen 25 Jahre seit Wiedergründung des Landes Sachsen-Anhalt, wie viele Menschen wir seitdem verloren haben. 750.000 durch Abwanderung, da sehe ich noch viel Luft nach oben für Menschen, die in unser Land kommen können und auch sollen, denen wir Arbeit bieten können. Wir haben einen Fachkräftemangel, einen demografischen Wandel, einen sich immer mehr entvölkernden ländlichen Raum.
Daher halte ich es von unserem Ministerpräsidenten für fahrlässig zu sagen, hier solle bei 12.000 Schluss sein. Das ist nicht nur verfassungsmäßig nicht möglich, so etwas zu fordern, sondern auch eine Beleidigung der Möglichkeiten und Fähigkeiten, die wir hier im Land haben.“

Sören Herbst, ihr Wohnhaus und Regionalbüro wurden Anfang November Ziel eines Anschlages. Hassparolen, in denen man Sie als „Volksverräter“ beschimpfte. Fühlen Sie sich bedroht und wie gehen Sie damit um?

„Das Ziel dieser Menschen ist, ein Bedrohungsszenario aufzubauen und Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren, unter Druck zu setzen. Mit Drohungen, mit Gewalt, und nicht nur die politische Person, sondern auch die Privatperson in den Focus zu nehmen und zu bedrohen, das ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Dafür muss es null Toleranz geben. Daher müssen diese Straftaten, Bedrohungen, Beleidigungen und Körperverletzungen aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir dürfen keinenZweifel daran lassen, dass das keine Situation ist, wie in den 30er Jahren, woran sich einige erinnert fühlen, wenn sie mit weißer Farbe an Schaufenster und Fassaden „Volksverräter“ schreiben. Daran dürfen wir alle keinen Zweifel lassen, dass das nicht so ist und durch unser aller Handeln beweisen.

Als Person des öffentlichen Lebens muss ich zwar mit Meinungsbekúndungen rechnen, auf Strafaten, Beleidigungen und Bedrohungen muss ich mich jedoch nicht einlassen, schon gar nicht in diesem Maße, daher passe ich schon ein bisschen besser auf mich auf. Ich habe ein großes Vertrauen in unseren Rechtsstaat, dass die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden.“

Auf der gestrigen MAGIDA Kundgebung wurde in Sprechchören öffentlich gefordert „Tod Sören Herbst – Tod Robert Fietzke“ , ohne dass die Polizei eingriff oder gar die Demonstration auflöste. Wie bewerten Sie diese neue Qualität?

„Das ist ein fürchterlicher Schritt weiter. Und wir dürfen das nicht zulassen und uns daran gewöhnen. Diese Dinge müssen ausermittelt werden. Wenn so etwas passiert, muss die Polizei einschreiten und dem ein Ende machen. Dies ist ein Grund, eine Demonstration oder eine Versammlung zu unterbinden.
Wenn eine Versammlung wie MAGIDA den Charakter erhält, zu Straftaten gegen andere aufzurufen, ist das nicht hinnehmbar. Daher haben wir heute ein Verbot der MAGIDA Demonstrationen gefordert. Weiterhin habe ich wegen dieser Äußerungen Strafanzeige gestellt.“

Was würden Sie denen sagen, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?

„Gehirn einschalten. Aber viele von denen sind offenbar nicht geübt im Denken. Ansonsten glaube ich, ist Dialog dort fehl am Platze. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die Straftaten begehen, in übelster Art menschenverachtend hetzen, so weit gehen, sich gegen Geflüchtete zu stellen, Straftaten begehen oder decken. Dabei gibt es keine Toleranz. Wir müssen deutlich machen, dass wir für ein demokratisches, rechtsstaatliches und weltoffenes Sachsen-Anhalt stehen. Sonst sind wir von einer guten Zukunft weit entfernt.

Sachsen-Anhalt braucht Einwanderer. Daher sollten wir diese Situation, die für viele Menschen auf der ganzen Welt Leid und Flucht bedeutet, für uns auch als Chance ansehen. Wir sollten weniger über Probleme, sondern mehr über Möglichkeiten reden.“

Sören Herbst, danke für dieses Interview.

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