Ziviler Ungehorsam ist politische Schönheit

Flüchtlinge symbolisch beerdigt

Ziviler Ungehorsam ist politische Schönheit – symbolische Beerdigung von Flüchtlingen vor dem Reichstag

Der überwältigende Marsch der Entschlossenen zum Bundestag.
Mindestens 5000 Menschen haben sich gestern auf den Weg zur Wiese vor dem Reichstagsgebäude gemacht, um auf die Missstände in der Flüchtlingspolitik der EU aufmerksam zu machen und um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für Menschlichkeit im Umgang mit den Flüchtlingen weltweit.
Eingeladen hatte Das Zentrum für politische Schönheit. Unter dem Motto „Die Toten kommen“ haben die Aktivisten mit den Beerdigungen zweier Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht im Mittelmeer umgekommen sind und aufsehenerregenden Fotos, die „an die Nieren gehen“, bereits im Vorfeld für heftige Diskussionen gesorgt.

Text & Fotos: Anna Gramm

In einer Stellungnahme auf Facebook äußern sich die Aktivisten folgendermaßen: „… Das Zentrum für Politische Schönheit hat am Dienstag gegen alle Regeln der Wahrscheinlichkeit eine Mutter, die bei ihrer Einwanderung nach Europa durch unsere Untätigkeit ertrunken ist und die von den Behörden als „unbekannt“ auf Sizilien christlich verscharrt wurde, exhumiert und zu ihren Liebsten überführt. Wir haben am Freitag einen sechzigjährigen Einwanderer, der durch die Höllentortur des Mittelmeers kollabiert ist und dessen toter Körper von den Behörden zehn Wochen (!) beschlagnahmt wurde, um von den Angehörigen ein Geständnis gegen den Fluchthelfer wegen „Schlepperei“ zu erpressen, ausgelöst und vor den Augen der Weltöffentlichkeit mit Imam würdig bestattet…“

Für mich war dieser Marsch der Entschlossenen ein überwältigendes Erlebnis. Menschen unterschiedlichster Nationalität und Herkunft, aller Altersklassen, ja komplette Familien ließen es sich nicht nehmen, für Menschlichkeit auf die Straße zu gehen. Ein trauriger Anlass führte die Menschen an diesem sonnigen Nachmittag zusammen.

Ja und sie waren ungehorsam, rissen symbolisch Mauern ein, indem sie am Zaun rüttelten, der um die Wiese vorm Bundestag aufgestellt war. Der Zaun gab nach und Tausende eroberten die Wiese, um sie dann innerhalb kürzester Zeit in ein kreatives, symbolisches Gräberfeld zu verwandeln. Über hundert Gräber entstanden an diesem unvergesslichen Nachmittag. Nein – sie brauchten den Bagger nicht, der eigentlich den Zug anführen sollte, aber verboten wurde.
Und auch nicht die zig Spaten, die im Vorfeld von den Polizisten als „Präventivmaßnahme“ eingesammelt wurden! Mit kleinen Schaufeln, wie man sie auch sonst bei der Grabpflege verwendet und mit bloßen Händen wurden Zeichen gesetzt. Als dann auch noch ein Trompeter das herrliche „Bella Ciao“ spielte, war das ein sehr stimmungsvoller Moment, in dem sich die Zuhörer in eine wahre Trauergemeinschaft verwandelten.

Trotz kleiner Scharmützel war diese Aktion eine zutiefst friedliche. Ich habe mich auf der Wiese mit vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft unterhalten. Die meisten schienen überwältig und innerlich befriedigt.
Den eigentlich geplanten Leichenzug vor das Kanzleramt hatte die Polizei verboten und den Zug offiziell nur bis zur Heinrich-von-Gagern-Straße genehmigt. Egal – es war, aus meiner Sicht, gut so wie es war.

Das Erlebte kann uns keiner nehmen, da bin ich mit vielen Anwesendenden einer Meinung. Und dieses Gefühl werden die Entschlossenen in das Meer der Unentschlossenen tragen. Das war der Auftakt! Ich bin mir sicher – der Kampf geht weiter. Die Missstände in der Flüchtlingspolitik der EU müssen beseitigt werden. Alles beginnt klein, das Pflänzchen wächst… Erst eins, dann zwei, dann drei…

Wie im kleinen so im großen: reißt die Zäune nieder!

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