Ungewöhnliches Plädoyer eines Jugendrichters

Cannabis legalisieren!

Gestern Abend stellte der Berliner Jugendrichter Andreas Müller sein neues Buch mit dem Titel „Kiffen und Kriminalität“ in der Stadtbibliothek Magdeburg vor. Rund 70 Gäste waren gekommen, um zu erfahren wieso der Autor für eine Legalisierung von Cannabis eintritt.

Andreas Müller stammt aus einer Familie, die vom exzessiven Drogenmissbrauch gezeichnet ist. Der Vater, ein Kriegsheimkehrer, verarbeitete seine Kriegserlebnisse im Alkoholrausch. Er war ein „schwerer Trinker“, wie Müller sagt. Sein Bruder verstarb vor zwei Jahren nach einer langen Drogenkarriere als Junkie. „Er wurde kriminalisiert und verfolgt, anstatt Hilfe zu bekommen.“

Trotz oder gerade wegen dieser Erfahrungen fordert der Mann, der als „härtester Jugendrichter“ Deutschlands gilt, die Legalisierung von Cannabis. Wieso? Müllers Hauptargument sei dabei die Vernunft, wie er selbst sagt.

Der Konsum von Cannabis führe seiner Meinung nach zu einer Stigmatisierung, die auch ihm – der nicht Konsument war – widerfuhr. So flog sein Bruder wegen des Konsums von Cannabis von der Schule, die er selbst später besuchte. Als Bruder des „Haschers“, wie man Kiffer damals noch nannte, wurde Müller dort von einem Lehrer begrüßt und hatte damit seinen Ruf in der Schule weg.

Der Vater soff Bier, der Bruder kiffte. Von beidem habe Müller, der sich selbst als Suchtmensch bezeichnet, welcher immer habe auspassen müssen, dass keine Sucht sein Leben bestimme, die Finger gelassen. Mit 18 Jahren wollte es Müller dann aber wissen und versuchte zu kiffen. Das Inhalieren des Rauches sei ihm jedoch zunächst nicht gelungen. Um dies zu üben, kaufte er sich Zigaretten. Rückblickend sagt er: „Ich hätte lieber Kekse backen oder einen Tee kochen sollen. Heute bin ich Nikotinsüchtig. Meine Einstiegsdroge waren Zigaretten.“

Nach diesem autobiografischen Einstieg ins Thema lässt Müller kühle Zahlen sprechen. Er bezieht sich auf den Bundesdrogenbericht, der belegt, dass jährlich rund 110.00 Menschen in Deutschland an den Folgen des Tabakrauchens versterben. Weitere 70.000 Menschen trinken sich zu Tode. Von einem an Cannabis verstorbenen Kiffer sei Müller allerdings nichts bekannt.

Aus Sicht des Autors ist Kiffen weniger ein juristisches als ein gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Problem. In seinem Buch schreibt er dazu:
„Wie oft hätte ich gerne mit den mir anvertrauten jungen Menschen über meine eigenen Erfahrungen geredet, und wie oft hätte ich dadurch auch als Richter ein gutes Stück glaubwürdiger sein können. Wie oft hätte ich durch so ein Gespräch vielleicht früher erkennen können, ob die Jugendlichen tatsächlich ein Suchtproblem haben oder einfach nur aus Lust und Freude konsumieren.“

Statt eines offenen gesellschaftlichen Dialoges über den Umgang mit Cannabis schieße der Staat mit Kanonen auf Spatzen. Die Strafverfolgung binde seiner Meinung nach ungeheure Ressourcen, die in anderen Bereichen viel dringender benötigt werden würden. Während die Deutsche Polizeigewerkschaft immer wieder über zu wenige Polizisten klage, solle sie sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzen. Die dadurch frei werdenden Polizeibeamten könnten sich stattdessen beispielsweise um Wohnungseinbrüche kümmern. „Eine Aufklärungsquote von 80 Prozent bei Einbruchsdelikten, das wäre doch mal ein echter Erfolg. Stattdessen werden jährlich 150.000 Ermittlungsverfahren gegen Personen eröffnet, die sich einfach nur einen gemütlichen Abend auf dem Sofa machen wollten.“, so Müller.

Die Strafverfolgung mache aus ansonsten unbescholtenen Kiffern Straftäter und sogenannte „Drogenabhängige“. Durch diese Stigmatisierung würde der Staat mehr Opfer produzieren als Cannabis selbst. Auch geringe Strafen hätten für den Verurteilten oftmals massive Folgen. So könne es durchaus passieren, dass Erzieher, die zu einer Geldstrafe von 500 Euro verurteilt werden, anschließend ihren Arbeitsplatz verlieren. Nämlich dann, wenn der Arbeitgeber vom Gerichtsverfahren erfährt und nach dessen Abschluss ein erweitertes Führungszeugnis verlangt.

Neben diesen direkten und indirekten Erfahrungsberichten schildert Müller in seinem Buch die aktuelle Rechtslage und räumt mit gängigen Rechtsirrtümern im Umgang mit Cannabis auf. Dabei stellt er immer einen praktischen Bezug her, sodass ihm auch der juristische Laie uneingeschränkt folgen kann.

Man muss dem Autor in seiner Argumentation nicht folgen, dennoch eröffnet er dem Leser einen interessanten und unkonventionellen Blick auf die Thematik. Wer sich in kalten Tagen einem „heißen Thema“ widmen möchte, kann bei „Kiffen und Kriminalität“ durchaus eine Bewusstseinserweiterung erfahren.

Text: Enrico Kober
Fotos: Wenzel Oschington

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